So findet man mit der Sucheingabe "Frenssen" etwa ein Protokoll der "Anwohnerversammlung" vom 12. März 2014 (Direktlink). Hier findet sich eine Reihe von Eingaben von Anwesenden, von denen viele bemüht waren, Frenssens Rolle im Nationalsozialismus zu verharmlosen. Wenngleich ein Protokoll nicht immer die nötige Exaktheit besitzt, so spürt man doch schon sehr den "Geist", der bei einigen auf der Versammlung herrschte:
"Ein weiterer Teilnehmer geht auf die zu Frenssens Zeit herrschende Eugenik und auf die heutigen medizinischen Vorgehensweisen ein, insbesondere auf heutige pränatale Untersuchungsmethoden und deren Auswirkungen."
Hier stellt sich die Frage, was denn "Frenssens Zeit" ist. Sind es die Jahre 1933-1945? Dann wurde hier, wie auch die "Norddeutsche Rundschau" berichtete nichts weniger versucht, als den Mord an Kranken, Behinderten und "Asozialen" in der NS-Zeit zu verharmlosen. Der Vergleich mit Pränataldiagnostik und Abtreibungsgesetzgebung hinkt gewaltig.
"Ein Teilnehmer fügt hinzu, dass er die kritische Auseinandersetzung mit Gustav Frenssen für äußerst richtig halte, listet dann aber eine Reihe von Namen von politischen Bekanntheiten auf, die in der Nachkriegszeit ebenfalls fremdenfeindliche Äußerungen getätigt haben. Er warnt vor blindem Aktionismus und hält die Umbenennung für zu überzogen. Die Deutschen setzten sich schon genügend mit ihrer dunklen Vergangenheit auseinander."
Auch dieser Redner war sich offenbar nicht bewusst, in welchem Maße Gustav Frenssen lange vor der NS-Zeit und bis zu seinem Tod kurz vor Kriegsende 1945 öffentlich und in seinen Schriften für radikel Maßnahmen der Euthanasie in Form von Massenmord eingetreten ist. Bei Frenssen geht es nicht um den beklagenswerten Alltagsrassismus oder Chauvinismus gegenüber Zuwanderern und Ausländern, sondern um Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
"Daraufhin bringt ein weiterer Teilnehmer das Zitat „Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich sing“ und möchte damit verdeutlichen, dass Frenssen einer von vielen Persönlichkeiten Deutschlands gewesen ist, die dem Nationalsozialismus gewiss nicht ganz freiwillig beigetreten sind."
Auch dieser Diskutant war schlecht informiert. Gustav Frenssen schreibt in seinem "Lebensbericht" (1940) dazu:
"Zuletzt, Anfang 1930 - wie ein Brief an Heinrich Eckmann besagt -, da die Sorge und Not rund um mich stieg, fing auch ich an, zu glauben. [...] Da ich, nach meiner Weise, mich und meinen Namen nicht wichtig nahm, tat ich mein Bekenntnis zur Partei nicht der Presse kund; aber ich trat mit dem Stimmzettel und innerhalb meines Verkehrs mit Wort und Brief für sie ein. Anfang April 1932, antwortete ich dem sogenannten "Hindenburg-Komitee", [...] daß ich [...] in beiden Wahlgängen für Hitler stimmte." (S. 315)
1930, bzw. 1932 hatte man noch die Wahl, bald nach 1933 nicht mehr.
"Anwohner" oder "Teilnehmer" - Wieso wurde das Protokoll verändert?
Interessant ist, dass das oben zitierte öffentlich zugängliche Protokoll offensichtlich noch einmal bearbeitet wurde. In einer Version, die noch vor wenigen Wochen abrufbar war, stand jeweils "Anwohner" oder "Besucher", wenn ein Diskutant zitiert wurde. Ingesamt wurden dabei 5 Personen als "Besucher", 8 als "Anwohner" bezeichnet. Nun sind es alles "Teilnehmer". Eine wahrscheinliche Erklärung dafür findet sich in einem anderen zugänglichen Dokument, dem Protokoll
der 9. Sitzung des Bildungs- und Kulturausschusses vom 09. April 2014 (Direktlink). Der Modus und der Ablauf der Einwohner-/Anwohnerversammlung war eines der zentralen Themen der Sitzung. Die Ausschussmitglieder beklagten sich wohl zurecht, dass man letztlich, trotz Bürgerbeteiligung und Meinungserhebung (43:2 für den Verbleib der Frenssen-Straße) nicht schlauer war, denn:
"Frau Jebens moniert, dass aus ihrer Sicht das Protokoll der Anwohnerversammlung nicht richtig sei, weil laut Presse und Bürgermeister es eine öffentliche Einwohnerversammlung und nicht eine Anwohnerversammlung war. [...] Weiterhin wurden in dem Protokoll Aussagen aufgenommen, welche von Einwohnern erfolgt sind, aber im Protokoll steht, dass die von Anwohnern getätigt wurden."
Dass es sich also tatsächlich um eine öffentliche Veranstaltung handelte, in der nicht ausschließlich Anwohner, sondern auch allerlei "Besucher" anwesend waren, macht die Sache problematisch: Wie kann man mit einem Votum, das zu einem nicht bestimmbaren Teil mit den Stimmen von "Auswärtigen" - womöglich nicht einmal Brunsbüttlern - zustande kam, während ein erheblicher Teil der Wohnbevölkerung nicht anwesend war, eine Entscheidung begründen?
Man überlegte deshalb, ob "dem Vorschlag der Verwaltung nachgegangen werden soll mit einer Einwohnerversammlung und Internet als Forum." Dass eine Meinungsbildung im Internet oft in einer „Schmutzkampagne“ münde und, wie Jens Binckebanck meinte, "unangenehme Seiten zum Vorschein bringen werde" bewog dazu, den Vorschlag abzulehnen.
Dass ausgerechnet Frau Jebens (FDP) bei der abschließenden Abstimmung über den Straßennamen für dessen Beibehaltung eintrat und sich dabei auf das Meinungsbild der Bürgerversammlung berief muss Wunder nehmen. Hatte sie laut zitiertem Protokoll doch dessen Aussagekraft erheblich in Frage gestellt.
Das ganze Geschehen ist
ein Appell für die Verantwortlichkeit gewählter Vertreter, die sachlich
und frei von Populismus, Stimmungen und Verdrehung von Fakten, über eine Sache entscheiden, weil nämlich ein vermeintlich "demokratisches Votum" durch Unwissenheit und Befangenheit demokratische und freiheitliche Werte infrage stellen würde, hätte es einen nationalsozialistischen "Schreibtisch-Täter" wie Gustav Frenssen in Ehren belassen.
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