„Was schrein die Machthaber und Wortführer von
England und Frankreich, als wollten wir Deutsche [...] über unsern
Lebensraum hinaus? Was schreien sie diese offenbare, diese verrückte
Lüge in alle Welt hinaus?" (S. 14)
Für die Mehrheit der Deutschen des Jahres 1940 mag
diese Behauptung Frenssens vermutlich der wahrgenommenen Realität
entsprochen haben: Dass Hitler lediglich die Bestimmungen des
Versailler Vertrages rückgängig machen, dem Deutschen Reich wieder
seinen Platz in Europa verschaffen und dabei alle mit deutscher
Bevölkerungsmehrheit besiedelten Gebiete „Heim ins Reich"
holen wollte, waren Forderungen, die breite Akzeptanz in der
Bevölkerung jenseits der politischen Couleur besaßen. Wer Hitlers
„Mein Kampf" (1925) tatsächlich gelesen hatte, konnte dagegen
erkennen, dass die immer radikaleren judenfeindlichen Maßnahmen im
Inland als erster Schritt einer „Germanisierung" Europas in
einem Völkermord-Krieg gegen Juden und „Untermenschen"
gedacht wurden:
„Seit Jahrhunderten zehrte Rußland von (dem)
germanischen Kern seiner oberen leitenden Schichten. Er kann heute
als fast restlos ausgerottet und ausgelöscht angesehen werden. An
seine Stelle ist der Jude getreten. [...] Das Riesenreich im Osten
ist reif zum Zusammenbruch. Und das Ende der Judenherrschaft in
Rußland wird auch das Ende Rußlands als Staat sein." (Hitler,
„Mein Kampf", Zweiter Band, Seite ?)
Ob Frenssen diese Zeilen kannte oder nicht, also
entweder bewusst log oder sich selbst und andere täuschte, bleibt
unerheblich. In seinen Schriften nach 1933 hatte er sich willig der
nationalsozialistischen Propaganda verschrieben und leistete dieser
je nach aktuellem Stand der Lüge bereitwillig Dienste:
Wenn er die Annexion Böhmens und Mährens als
„freiwilligen Akt" seitens der Tschechen (und Slowaken)
darstellte (siehe Teil 1), log er zusammen mit der nationalsozialistischen
Propaganda über die Unterdrückung eines anderes Volkes, obwohl
gerade dies die Falschheit der Behauptung, dass es Hitler nur um die
Heimholung der Deutschen ginge, deutlich machte.
In der „Lebenskunde" von 1942 schwenkt er dann
schließlich in den Realität gewordenen Wahn ein: Dass die Deutschen
nicht nur durch verbesserte Organisation und Steigerung der
Landwirtschaft in ihrem
„Raum" in Europa leben würden,
sondern auch „ein Tag kommen könne" (und damals schon
gekommen war), an dem sie auch neuen Raum erobern würden, verkündete
Frenssen nun wie selbstverständlich.
„Und nun will ich also von diesem Hitlertum sprechen:
[...] Wer findet das Wort? [...] [Das Wort,] Das Deutschland endlich,
endlich einig machte, zu einem Wesen zusammenballte! Und damit wieder
stark und ehrlich machte! Wer... wer findet das Wort? Seht, ihr
Menschen, es ist nicht leicht, es verständlich zu machen: da ist ein
Mensch... da steht Gott selbst... vor dem Schmelzofen seiner
Schöpfung: es glüht und sprüht und funkelt... ein Chaos! Da sagt
er ein Wort, ein einziges Wort; und sieh, es fließt zusammen. [...]
Wer fand das Wort? [...] Er [= Hitler] fand das Wort [...] ein
einfacher deutscher Soldat. [...] Er suchte für das Wort, das
Wunderwort, das in ihm war, eine Fassung und fand sie. Es ist nicht
die rechte Fassung. Die rechte ist allein sein Name. Denn er selbst,
in seinem Wesen... und auch in dem Weg seines Lebens bis dahin...,
daß er ein Arbeiter der Faust war zuerst, danach einsamer und
mühsamer Bildner seiner selbst, danach Soldat unter den andern
Millionen: er selbst war das Wort. Aber er gab ihm einen anderen
Namen. Er nannte es nationalsozialistisch. Sein Bruder in Italien [=
Mussolini][...] nannte sein Wort und Werk: faschistisch. [...]
Der Hitlerismus, das Hitlertum, eine Sache von gestern?
Wohl tausend Jahr lang suchte das deutsche Volk seines Wesens Sinn
und Art... Es fand sie" (S. 34f.)
An diesem Abschnitt wird die ganze fanatische
Übertreibung von Frenssens Hitlerverehrung deutlich, die religiöse
Züge im Stil des Johannesevangeliums trägt („Am Anfang war das
Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort.").
Hitler wird als göttlicher Retter und Einiger der deutschen Nation
dargestellt. In der idealisierenden Form einer
nationalsozialistischen „Heilsgeschichte" wird seine
Biographie und sein Aufstieg als von der Vorsehung bereitete und
vorbestimmte Entwicklung dargestellt. Die Person Hitler ist nur die
menschliche „Hülle" durch die ein seit „tausend Jahren"
suchendes Volk sein „germanisches Wesen" verwirkliche.
„Und so hat der Nationalsozialismus eine völlige
Erneuerung, ja eine Neuschaffung, und damit eine gewaltige Gesundung
und Kräftigung unseres Volkes gebracht. [...] Oder haben unsere
Feinde eine Hoffnung auf eine Revolution? Auf eine Trennung vom
Führer? [...] Man macht keine Revolution gegen sein eigenes Wesen,
gegen das eigene Herz" (S. 55, 57).
Fazit:
Die totalen Besessenheit vom "Führer"
und der damit verbundene Kult einer geschichtstheologischen
Erlösungshoffnung durch den Nationalsozialismus, der göttlich
sanktioniert ist, finden hier einen kaum zu überbietenden Ausdruck.
Dass die Propagandaschrift „Recht oder Unrecht" (wie auch „Der
Glaube der Nordmark" (1936)) heute nicht nur als antiquarisches
Exemplar noch verhältnismäßig häufig frei zum Verkauf angeboten
wird und sogar Faksimiles der Broschüre von neonazistischen
Internetshops angeboten werden, zwingt zu der bitteren Erkenntnis,
dass es offensichtlich Frenssens „Alterswerk" ist das ihn am
längsten zu überleben scheint.
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