Im Zusammenhang mit
Berichten über die Umbenennung der Gustav-Frenssen-Straße in Heide
veröffentlichte die "Dithmarscher Landeszeitung" 1983 eine ganze Reihe von Leserbriefen, in denen teils leidenschaftlich über die Person Frenssen und sein Werk gestritten wurde und in die sich auch ein bekannter rechtsextremer Autor einmischte (In der 2013/2014 öffentlich geführten Frenssen-Debatte fiel die Veröffentlichung von zwei offen antisemitischen Leserbriefen auf).
Nachdem Kreispräsident
Gosau (CDU) Frenssen zuvor als "
typisch" für "Land
und Leute" bezeichnet und Zustimmung zur Idee der Gründung
einer Gustav-Frenssen-Gesellschaft (ähnlich der
[Friedrich-]Hebbel-Gesellschaft) geäußert hatte, protestierte die
Schulgruppe der
GEW am Schulzentrum Heide-Ost mit einem durch Bernd
Müller verfaßten Leserbrief dagegen (DLZ vom 3. Mai 1983, Seite
12). Er zitierte dabei auch einen längeren Abschnitt aus Frenssens
"Der Glaube der Nordmark" (1936):
"Ich will den
christlichen Glauben, den ihr in Schule und Konfirmandenunterricht
gelernt habt, Menschen der Nordmark, und den, der nach dem Willen
Gottes von Blut und Boden, Wolken und Schicksal in der Welt, in der
Tiefe unsrer Seelen lebt, einander gegenüberstellen. Wobei es mir
nicht darauf ankommen soll, daß ich einen geraden Gang der Gedanken
gehe, sondern daß ich alles und deutlich sage. [...] der christliche
Glaube sagt: Jedes deutsche Kind muß an dem jüdischen Glaubensgut
und an den jüdischen Helden und Patriarchen, von Abraham bis
Johannes, seinen Glauben erleben und bilden. Der Glaube der Nordmark
sagt: Jedes deutsche Kind muß an deutschem Glaubensgut und an
deutschen Helden und Patriarchen, von Hermann dem Cherusker bis zu
Goethe, Hindenburg und Hitler seinen Glauben erleben und bilden"
(Der Glaube der Nordmark (unbekanntes Jahr), S. 98ff.)
"Der Glaube der
Nordmark" ist der Auflagenstärke nach die dritt-erfolgreichste
Schrift Frenssens insgesamt (mind 350.000 Stück). Ein Grund für
diesen Erfolg lag darin, daß es eine "
gefällige Synthese"
(Crystall, S. 463) verschiedener "
deutschgläubiger Autoren"
ist, unter ihnen u. a.
Alfred Rosenbergs "
Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts" (Rosenberg galt als Chefredakteur des
"
Völkischen Beobachters" als DER Ideologe des Nazi-Regimes
wurde späterer "Reichsminister für die besetzten Ostgebiete".
Wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" wurde er in
Nürnberg 1946 zum Tode verurteilt).
Frenssens Werk wurde in
hohen Zahlen auch als Jugendweihegeschenk übergeben.
Ein Revisionist
und Holocaustleugner bezieht Stellung
Im Rahmen eines weiteren
Artikels in der DLZ ("Name der Gustav-Frenssen-Straße ist
umstritten - SPD mit Antrag zur Straßenumbenennung in Heider
Stadtverordnetenversammlung" (DLZ vom 15. September 1983))
meldete sich ein Otto Schwisow aus Rotenburg/Wümme mit einem
Leserbrief zur Frenssen-Debatte zu Wort:
"Jedes Volk hat
seinen Sozialismus! In welchem Land du immer geboren bist, da ist
deine Heimat, und ihre Dichter, das sind auch deine Dichter! [...]
Man sollte daher Geistesgut als 'Nationalgut' behandeln und
weitergeben, statt es in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch die
Namen, die einst geehrt wurden, gehören dazu. Gustav Frenssen hatte
zu seiner Zeit so großen Erfolg, weil er 'die Seele des Volkes'
richtig erkannt hatte. Dieses bezog sich sogar auf seine
Konsequenzen, die er als Pfarrer zog. Er hatte besonders mit seinem
'Glaube der Nordmark' seine Mitmenschen richtig beurteilt."
(DLZ vom 29. September
1983, Seite 11)
Während der Name Otto
Schwisow den wenigsten etwas sagt, war er den Rechtsextremen jener
Jahre nicht unbekannt: Im Orion-Heimreiter-Verlag mit Sitz in
Heusenstamm bei Frankfurt/M. veröffentlichte der ehem. NSDAP-Ortsgruppenleiter in Hamburg-St.-Pauli (Mitglied seit 1925) und Krankenkassendirektor i. R. im Jahre 1978 unter dem
Titel
"Gegen Lügenpolitik und Geschichtsfälschung" eine
geschichtsrevisionistische Schrift, in der er u. a. den französischen Holocaust-Leugner
Paul Rassinier zitiert, der die Funktion der Gaskammern zum Zwecke des millionenfachen Mordes - und damit den Holocaust (die Shoa) leugnete (Dies ist in Deutschland erst
seit 1985 ein Straftatbestand). Zudem stellt Schwisow den Krieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion als
einen Präventivkrieg dar.
Durch die Formel "Jedes
Volk hat seinen Sozialismus!" in dem Leserbrief, deutete
Schwisow seine politische Überzeugung mehr als an (=
National-Sozialismus).
Der
Orion-Heimreiter-Verlag gehört heute zur "Lesen & Schenken
Verlagsauslieferung und Versandgesellschaft mbH" des
Rechtsextremisten
Dietmar Munier, zu der auch der ARNDT-Verlag
gehört, laut Verfassungsschutzbericht des Landes Schleswig-Holstein
2008 einer der "
bekanntesten Verlage des rechtsextremistischen
Spektrums."
Mit Otto Schwisow, der zudem Mitglied der Theodor-Storm- und der Friedrich-Hebbel-Gesellschaft war, nahm 1983 also ein einschlägig rechtsextremer Autor für Frenssen und
insbesondere für den "Glauben der Nordmark" Stellung.
Kein Amt - keine
Verantwortung.
Die konservativen
Politiker noch der 1980er Jahre verfolgten dagegen offensichtlich die
Idee vom "Doppelten Frenssen", dem gutmütigen, harmlosen
Heimatdichter auf der einen und dem nationalsozialistischen Mitläufer
auf der anderen Seite, mit der Konsequenz: "
Ehre dem Dichter
Frenssen, Vergessen dem Antisemiten Frenssen." Nicht anders
hatten Jahre zuvor die
Adolf-Bartels-Befürworter in Wesselburen
argumentiert.
Die Rechtfertigungen für
dieses Vergessenmachen der Folgen, die Frenssens Publizistik der
Jahre 1933 bis 1945 befördert und unterstützt hatte, sind aus den
Begründungen des Beschlusses des CDU geführten Heider Magistrats
aus dem Januar 1984 zu entnehmen. Folgende Stichworte lassen sich
nennen (Zitiert nach DLZ vom 14. Januar 1984):
1. "Kein Wegbereiter
des Nationalsozialismus"
2. "Während der
Zeit von 1933 bis 1945 für das parteipolitische Geschehen keine
Rolle gespielt"
3. "Überwiegend
Heimatdichter"
4. "Zeitgenossen
hätten ihn als selbstlosen und warmherzigen Mann charakterisiert,
der stets ein
offenes Ohr für
die Sorgen anderer gehabt habe."
5. "Mitläufer"
mit "geringer politischer Bedeutung"
So wogen die mehr oder minder stimmigen
Tatsachen, daß er nicht zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus
gehört hatte, daß er auch nicht Mitglied der NSDAP kein offizielles
Amt inne gehabt hatte und sich in Barlt "selbstlos und
warmherzig" verhalten habe, seine umfangreiche
Propaganda-Tätigkeit im Dritten Reich für Hitler, den
Nationalsozialismus und für die Ermordung hunderttausender Menschen
fast mit Leichtigkeit auf.
Daß Frenssen überwiegend
Heimatdichter gewesen sei ist angesichts der Auflagenstärke und der
politischen Dimension auch seines früheren Werkes (etwa während der
Ersten Weltkrieges (1914-18) und schon davor in "Peter Moors
Feindfahrt nach Südwest" (1906)) zu bestreiten.
Frenssens Rechtfertigung
nationalsozialistischer Politik und zuweilen seine über das Handeln
des Regimes weit hinausgehenden Forderungen sind zudem, gänzlich
unabhängig von Parteizugehörigkeit und Amt, Zeichen von
Menschenverachtung und Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus.
Ein Alt-Nazi als
Kronzeuge: Hans Beeck
Hans Beeck steuerte in
seinen 1969 im (rechtsextremen) Türmer-Verlag erschienen
Erinnerungen "Mein Begegnen mit Gustav Frenssen" noch die
völlig unkritische und unpolitische Betrachtung über die Person
Frenssen in seinem heimatlich-dörflichem Umfeld bei, und verteidigt Frenssen u.a. mit den Worten,
"er habe sich so mutig und furchtlos der sogenannten kleinen Leute [angenommen]". (S. 6).
"Wir dürfen über Gustav Frenssen und sein Werk nicht achtlos hinweg gehen. Er hat uns viel zu sagen. Versuchen wir es mit irgend einem [sic!] seiner Bücher. Wir werden erstaunt sein über die Kraft seines Erkennens und über seine überragende Menschlichkeit [sic!]. Sie gelten nicht nur für die damalige Zeit seines Wirkens. Sie gelten in gleichem Maße auch für heute [sic!]." (S. 9)
"Immer hat er es aus ehrlichem, aufrichtigem Herzen getan, nie aus geldlichen Beweggründen. Und, wie schon gesagt, stets für die arbeitenden Schichten der Bevölkerung, die selbst keine Aussage über die sie bedrängenden Probleme machen konnten. [...] Menschen, die mit ihrer Not nicht fertig werden konnten, kamen von weither, sich Hilfe, Kraft und Trost bei ihm zu holen." (S. 10)
Beeck verharmlost
Frenssen, wo er auch seine Rolle verhamlosen könnte: Seit 1925
Mitglied der NSDAP, war er Mitglied des nach 1934 nur noch pro forma
existierenden nationalsozialistischen Reichstags und ebenso bis 1945
NS-Kreisbauernführer in Dithmarschen. Er zeichnet auch
verantwortlich für Frenssens Begräbnisstätte auf dem Wodansberg
bei Windbergen, die er einrichten ließ, "damit
nationalsozialistische Trauerfälle sich von christlichen Einflüssen
emanzipieren" könnten (Crystall, S. 491).
In Beeck, der Frenssen
persönlich seit 1920 kannte, dürfte man wegen seines Buches und
seiner Prominenz in Dithmarschen den wichtigste jener "Zeitgenossen"
erkennen, auf die man sich beim Beschluss des Jahres 1984 berufen
hätte können.
Im schon vor 1933 vom
Nationalsozialismus tief durchdrungenen Land an der Westküste wären so auch
Jahrzehnte nach 1945 u. a. die herzlichen Worte einer - im Gegensatz
zu Frenssen - "parteipolitisch" bedeutenden ehem.
regionalen nationalsozialistischen Führungsgestalt hilfreich
gewesen, Frenssen ein gutes Leumundszeugnis zu verschaffen.
Nicht anders sogar in Hamburg, wo die CDU, damals vielfach auch noch Geisel von alten Männern mit vormals tiefbrauner Vergangenheit, Frenssen wörtlich einen "Kämpfer für ein gesünderes, gerechteres und kraftwilligeres Deutschland" nennen konnte (Töteberg, S. 191).
Daß dadurch letztlich
das ehrliche Bemühen zunichte gemacht wurde, Frenssens Wirken über
Barlt und Dithmarschen hinaus ernsthaft kritisch zu betrachten, liegt
auf der Hand. Denn wer kann noch an Frenssens kaltherzige Worte
denken, wenn man sich nur an den "warmherzigen Dichter",
erinnern will?
Frenssen und die neuen Rechten
Während
es nach 1945 nur wenige und bescheidene Versuche gab Frenssens Werke
nachzudrucken ("Jörn Uhl" bei Lühr & Dircks
St.-Peter-Ording, 1982 (3000 Exemplare)), haben seine
propagandistischen Werke, von denen offensichtlich keines - trotz
vielfach volksverhetzender Inhalte - indiziert ist, das Interesse von
Rechtsextremen geweckt. Während es die völkisch-germanische
Theologie "Glaube der Nordmark" wegen seiner hohen Auflage
noch als Originalausgabe für oft nicht einmal 1 € - etwa bei
Amazon.de (Marketplace) - zu kaufen gibt, ist insbesondere für die
nationalsozialistische Propagandaschrift "Recht oder Unrecht"
vermutlich eine Nachfrage vorhanden, die größer als das
antiquarische Angebot ist. So kann man nämlich das 'Machwerk', das -
wie "Mein Kampf" erst Ende 2015 gemeinfrei wird, als
Papierkopie bei einem "national" eingestellt Online-Shop
erwerben. [Eine Verlinkung unterbleibt hier aus verständlichen
Gründen. Der Leser forsche ("google") selbst nach.]
Schluss
Frenssen selbst hat sich
noch in seinen letzten Werken bemüht seine Überzeugung vom
Nationalsozialismus bis in die frühen 1920er Jahre - seine
demokratische Phase - zurückzudatieren und sich noch mehr dem System
anzubiedern (Vgl. Crystall, S. 481, Fn. 222). Es hieße ähnlich
geschichtsvergessen und manipulativ zu argumentieren, würde man
ignorieren, daß die Lebensgeschichte des Barlter Tischlerssohn von
Brüchen und Übergängen gekennzeichnet ist, die bis zu einem
gewissen Grad ein Exempel der gesellschaftlichen Entwicklung jener
Jahrzehnte wiedergeben.
Wie das Frenssen-Haus in
Barlt zeigt, ist es keineswegs unmöglich, die Beschäftigung mit dem
Werk des Schriftstellers Frenssen fortzuführen ohne dessen
dunkelsten Seiten seines Lebens unter den Teppich zu kehren. Pastor
Dietrich Stein, derzeitig verantwortlich für Führungen im Haus,
schrieb allerdings im Vorwort des 1997 erschienen Sammelbandes auch:
"Gustav Frenssen ist kein Mann für Straßenbenennungen".
Literatur/Quellen:
- : "Name der
Gustav-Frenssen-Straße ist umstritten", in: "Dithmarscher
Landeszeitung" vom 15. September 1983, Seite 10.
- : "Gustav-Frenssen-Straße wird
nicht umbenannt", in: "Dithmarscher Landeszeitung" vom
14. Januar 1984, Seite 10.
Hans Beeck: "Mein Begegnen mit
Gustav Frenssen", Türmer-Verlag, München 1969.
Andreas Crystall: "Gustav
Frenssen - Sein Weg vom Kulturprotestantismus zum
Nationalsozialismus", Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus,
Gütersloh 2002.
Kay Dohnke/Dietrich Stein (Hrsg.):
Gustav Frenssen in seiner Zeit, Boyens & Co Verlag, Heide 1997.
Bernd Müller: "Über Gustav
Frenssen" (Leserbrief), in: "Dithmarscher
Landeszeitung" vom 3. Mai 1983, Seite 12.
Otto Schwisow: "Gegen
Lügenpolitik und Geschichtsfälschung",
Orion-Heimreiter-Verlag, Heusenstamm 1978.
Ders.: "Einst geehrt"
(Leserbrief), in: "Dithmarscher Landeszeitung" vom 29.
September 1983, Seite 11.
Michael Töteberg: "Sorry, Arno Schmidt! Ein kritisches Nachwort zum Frenssen-Funkessay - 25 Jahre später.", in: "Jahrbuch der Gesellschaft der Arno-Schmidt Leser", Nr. 8 (1990), S. 189-206.
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