Die Brüder
Heinrich und
Thomas Mann nehmen ab Ende der 1920er Jahre in den
Schriften Gustav Frenssens die Rolle von Antipoden seines
„germanischen“ Werkes ein. Für Frenssen sind sie Symbolfiguren
einer „jüdisch-romanischen Herrschaft“ auf kulturellem, wie auf
allen anderen Gebieten der deutschen Gesellschaft, die sich nach der
Niederlage im 1. Weltkrieg etabliert habe. Die Ehrung Thomas Manns
mit dem Nobelpreis sei Teil einer Verschwörung der europaweit
agierenden „jüdischen Presse“, durch welche Autoren
„germanischer Art“ unterdrückt würden. Für Frenssen war dies
eine willkommene Erklärung der sinkenden Absatzzahlen seiner Bücher,
die ihm auch sein Verleger Müller-Grote in Briefen „bestätigte“.
Der
Literaturnobelpreis an Thomas Mann im Jahre 1929 wird in Frenssens
Veröffentlichungen bis zu seinem Lebensende 1945 zu einer letzten
Bestätigung seines rassistisch-antisemitischen Weltbildes. Auch
seine persönliche Verletzung, wie er sie im entsprechenden Kapitel
des „Lebensbericht“ nur schwer verbergen kann, wird zur Grundlage
einer kühlen und ausnahmslosen Rechtfertigung der
nationalsozialistischen
Gleichschaltung und Diktatur, der Verfolgung und Vertreibung der
Juden und Andersdenkender als gerechte Wege zur Beseitigung
„widerdeutscher“ Einflüsse, bis hin zum Massenmord.
Eine von Frenssen auf das Jahr 1931 datierte Notiz in seinem 1938
erschienenen dritten Band der „Grübeleien“ (Vorland) lässt
bereits jenen Affekt erkennen. Hier wird die antisemitische
Vorstellungswelt einer „jüdischen Weltverschwörung“, die die
Verleihung des Literaturnobelpreis kontrolliert, deutlich, denn
Frenssen zitiert
Sinclair Lewis, der den Preis 1930 erhielt:
„Man
muß den Juden klaren Beweis liefern, daß man ihr Freund ist. In
seinem „Sam Dods- / worthy“ nennt er [=
Sinclair Lewis] also, als die vier großen deutschen
Zeitgenossen, drei Juden, dazu Thomas Mann, der, da er sein
Kunstgefühl von seiner Mutter hat, die eine Romanin gewesen war, in
deutscher Sprache romanische Kunst schafft und den Juden darum
besonders nahe steht. […]
Im germanischen Volk von siebzig Millionen sind lauter Nichtdeutsche,
Fremde, die einzigen großen Namen!! So muß man es machen! Nun ist
er, kraft der jüdische Presse, die Europa beherrscht, von Wien bis
Stockholm der größte amerikanische Schriftsteller.“
(S. 192-193)
Das Motiv einer jüdisch(-romanischen) Verschwörungslegende im
Kulturbetrieb ist der Weg auf dem Frenssen bis zum Ende seines Lebens
bleiben wird. Dass der „jüdische Einfluss“ eine europäische
Dimension habe und auch andere Völker (Schweden) betreffe, führt er
wenig später, in „
Recht oder Unrecht - Mein Land!“ (1940),
nochmals aus. Nachdem er die Verfolgung und Vertreibung vieler
jüdischer Mitbürger, „die einmal Gäste waren in Germanien“,
zuvor als „göttliche Gerechtigkeit“ bezeichnet hatte, schreibt
er:
„Die
städtische Masse in diesen vier Völkern [gemeint
sind die Schweiz, Holland, Norwegen und Schweden] [hatte]
sich von Deutschland abgewandt […]
und damit auch vom germanischen Wesen. Wohin? Wohin wandte
sie sich? Nach Juda, nach Juda! Zu dem vaterlandlosen und
heimatlosen, fremdblütigen, fernen, fernen Volk! Ah, diese feine,
spielende (mit allem spielende), schillernde, jüdische Kunst! In
ihren Buchläden stehn immer, noch heute, nachdem doch Klarheit
geschaffen, als deutsche Kunst … als deutsche Kunst! … die Bücher
der Brüder Mann und die Bücher ihres Judengefolges. Die Brüder
Mann haben Geist und Seele nicht von ihrem germanischen Vater,
sondern von ihrer spanischen Mutter, und sind dem deutschen Wesen
fremd und fern. Jedes der großen Menschenworte: Frömmigkeit,
Freiheit, Gerechtigkeit, Sitte, Bildung bedeutet allen diesen anderes
als uns Germanen. Es sind fremde Menschen; sie haben mit / germanischem
Wesen nichts mehr zu tun, als daß sie einmal Gäste waren in
Germanien und sich germanischer Sprache bedienten.“
(Seite 45-46).
Mit der „
Klarheit“, die geschaffen worden sei, bezieht
sich Frenssen auf die Bücherverbrennungen (Berlin, 10. Mai 1933,
„
Wider den undeutschen Geist!“), bzw. andere
nationalsozialistische Maßnahmen wie
Berufsverbote für jüdische Akademiker, den Ausschluß Heinrich Manns und anderer aus der
Preußischen Akademie der Künste (1933), die Aberkennung der
Ehrendoktorwürde von Thomas Mann und dessen Ausbürgerung
(1936).
Gustav Frenssen gibt keine konkrete Beschreibung davon, wie
„germanische“, „romanische“ oder „jüdische“ Kunst in der
Literatur aussähe. Eben jenes hatte Frenssens Dithmarscher
Zeitgenosse und ehemaliger Mitschüler
Adolf Bartels (1862-1945)
schon im Kaiserreich versucht festzustellen. Dieser gab in seiner
1901 veröffentlichten "Geschichte der deutschen Literatur",
die bis 1941 immer wieder ergänzt wurde und in insgesamt 17 Auflagen
erschien, unter anderem
so „wissenschaftliche“ Urteile ab wie:
„
Ein echter jüdischer Frechling“ (über Kurt Tucholsky)
oder „
riesig sind […]
Eitelkeit und Unverfrorenheit“
(über Heinrich Heine).
Dass
Frenssen nicht umhin kann doch einzuräumen, dass der „Halb-Spanier“
Thomas Mann, den man eigentlich höchstens einen „Viertel-Portugiesen“ hätte nennen können, doch „so
viel ein deutscher Geist romanische Art und Kunst mitempfinden kann,
ein starker Künstler“ sei
(„Lebensbericht“, S. 258), ist eine andere Pointe.
Zuletzt
führte er besonders in seinem „Lebensbericht“ von 1940 ab Seite
256 auf vielen Seiten nochmals die von ihm als „Schande“ und
„Demütigung“ gewertete Zeit der Weimarer Republik aus. Häufigst
genannt sind auch hier wieder die Brüder Mann. In Abschnitt
64 seines „Lebensberichtes“ lässt er sich noch einmal über den
Nobelpreis aus. Seine persönliche Verbitterung wird deutlich, wenn
er in Verschwörung witternder Manier Gründe auszumachen versucht,
weshalb er den Preis nie erhalten habe:
Da sind die
Mitglieder der schwedischen Akademie, die „Gelehrte irgendeiner
andern Wissenschaft [sind], die […]
der schönen Literatur fernstehen“ und sich daher auf
„Fachgelehrte“ stützen würden. So seien sie dem „seit
etwa 1890“ den „germanischen (nordischen) Begriff der
Kunst […]
überflute[nden]“, „romanisch-jüdische[n] Kunstgefühl“
ausgeliefert gewesen (S. 292).
Frenssen ist
sich sicher, dass „das schwedische Volk [.]
sich […] in seinem
gesamten geistigen, wie seinem Kunsturteil, von Leuten volksfremden
Gefühls leiten“ ließ (S. 294). Nur so erklärte er sich, habe
es dazu kommen können, dass die Akademie „in ihrem Urteil
fehlgriff“ und sie so „in
ziemlichem Grade das Volk, dem der Gekrönte angehörte“
„schädigte“ (S.
293).
Er
bedauert es, dass „die Namen derer, die […]
vielleicht gar ein oder einige Male fast die Mehrheit der
Stimmen hatten, durchaus verschwiegen werden“
und scheint sich zu jenen zu zählen, die einer solchen „Demütigung“
ausgesetzt waren (S. 294).
Frenssen
meint schließlich auch genau zu wissen, dass dies nicht im Sinne
Alfred Nobels gewesen sein könne:
„
Er
wollte, als ein germanischer Mensch,
daß mit seinem Namen und Geld Werke geehrt würden, welche die
Menschenseele ehrten und durch solches Ehren erhöhten. Er wollte daß
Werke Heidenstamms, Lagerlöfs, Hamsuns, der Undset, Hauptmanns,
Thomas Hardys, Rollands geehrt würden, aber Werke Frances, Manns,
Lewis, Pirandellos ausgeschlossen waren. Das war der aus seinem
germanischen Herzen und ästhetischen Gefühl stammende, sittliche
germanische Wille des Stifters“ (S. 293).
Es ist seltsam, weshalb in Frenssens Liste gelobter skandinavischer, deutscher und englischer Nobelpreisträger auch der linksorientierte französische Intellektuelle Romain Rolland auftaucht
, der
nach 1933 in Deutschland zu den verbotenen Autoren gehörte. Eigentlich ist die kleinlaute Schutzbehauptung eines Enttäuschten, dass der „Germane“ Nobel doch dem „Germanen“ Frenssen seinen
Preis gegönnt hätte, kaum der Rede wert, wäre sie als prinzipiell rassistische Kategorisierung nicht alles andere als harmlos. Was für Frenssen unter einem „germanischen
Menschen“ zu verstehen ist, und was für diesen das sogenannte
„Wahrgutschöne“ sei, erläutert er nur wenig später in der „Lebenskunde“ (1942):
„Die
aber, die unheilbar sind und so schwer krank, daß ihr Leben für sie
selbst kein Menschenleben mehr ist, die auch in der Gemeinschaft der
Menschen nicht mehr mitleben können, Mensch mit Mensch, sollen nach
germanischem Gefühl für das Wahrem mit ihrer eigenen Billigung oder
nach dem Willen der Gemeinschaft ausgelöscht werden. […]
Solche Kranke sind die völlig verkrüppelten Neugeborenen,
die unheilbaren Idioten, die unheilbaren Irren. Ferner die gebornen
Mörder, Rohlinge (Gewalttäter), Einbrecher, Diebe,
Arbeitsunwillige, Herumstreicher, Volksfeinde aus krankem Willen oder
um Geld. / […] Es ist
dem germanischen Gewissen unwahr und unrecht, sie weiterhin die
Volksgemeinschaft schädigen zu lassen, wahr und recht, sie
auszulöschen.“ (S. 53-54)
Für
die Brüder Heinrich und Thomas Mann selbst, ihre Kinder nach
Nürnberger Rassegesetzen „Halb-Juden“, die jüdischen Mitbürger,
Sinti und Roma und andere gelte nach einer anderen Stelle: „Unedles
Fremdblut und Mischblut, das, weiter gesät, ein Volk erniedrigt,
soll ausgeschieden sein“.
(S. 91). Wie nahe dabei die Adjektive „unedel“ und „fremd“,
den Beiwörtern „krank“ und „unheilbar“ sind, ist spätestens
im selben Jahr (1942) endgültig sichtbar, als die „Endlösung“
anläuft. Der Griff in die Schublade rassistischer Kategorien,
Klischees und Karikaturen sollte am Ende für Millionen tödlich
werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen