BerthavonSuttner

Der Dithmarscher Pastor und Schriftsteller Gustav Frenssen (1863-1945), feierte im Kaiserreich als Vertreter der „Heimatkunst“ literarische Erfolge („Jörn Uhl“ (1901)) und zählte 1912 zu den aussichtsreichsten Kandidaten für den Literaturnobelpreis. Schon früh sind in seinen Aufzeichnungen jedoch radikale Ideen der Eugenik und Euthanasie festzustellen, die er ab Mitte der 1920er Jahre öffentlich kundtat („Möwen und Mäuse“ (1927)). Im Nationalsozialismus als „Vorkämpfer“ gefeiert biederte sich Frenssen den Machthabern an, vergötterte Adolf Hitler und rechtfertigte Krieg und Massenmorde. Im März und April 2014 beschlossen die Städte Heide und Brunsbüttel die Umbenennung der nach Gustav Frenssen benannten Straßen. Dieser Blog dokumentiert und kommentiert Frenssens menschenverachtendes Gedankengut und die öffentliche Diskussion über seine Person.

(Bild rechts: Gustav Frenssen - Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-S42619 über wikipedia.de)

Donnerstag, 2. Januar 2014

Offen antisemitische und fremdenfeindliche Leserbriefe in der Frenssen-Debatte (2013)

Im Vorfeld und nach der Informationsveranstaltung zum Thema "Das Politikum Gustav Frenssen" am 17. Dezember 2013 im Kulturforum Heide-Ost wurden in der "Dithmarscher Landeszeitung" zwei Leserbriefe veröffentlicht, in denen die Autoren eine ideologische Nähe zu Frenssen zum Ausdruck brachten und dabei aggressiv-rechte Äußerungen tätigten.

Am 9. Dezember schrieb Walter Höer aus Brunsbüttel auf die Berichterstattung zum Thema "Gustav-Frenssen-Straße" hin:
"In der Mitte des Artikels fragte ich mich: "Denkt der Leser jetzt, ob hier nur harmlose Leute tätig sind, die ein Haar in der Suppe suchen, oder sind es ewig gestrige Weltverbesserer und Nestbeschmutzer?" Am Ende fragte ich mich: "Hat eine der selbstbewusstesten Nationen der Erde, in der nicht nur die orthodoxen Fanatiker sich für das auserwählte Volk halten, es nötig, sich solcher Helfer und Kriecher zu bedienen?"
Im folgenden nennt Herr Höer noch die Namen der von ihm so diffamierten Personen: Berndt Steincke, ehem. Vorsitzender der Stiftung gegen Extremismus und Gewalt in Heide und dessen Nachfolger Dieter Beuse, Propst Dr. Andreas Crystall, und Geschichtslehrer Dr. Matthias Duncker, die am derzeitigen Frenssen-Projekt beteiligt sind und schimpft sie nochmals (in einer rhetorischen Frage) "Bilderstürmer und Bücherverbrenner".

Schlimmer als diese Diffamierungen sind die tiefsitzenden antisemtischen Affekte. In der geistigen Nachfolge der "Protokolle der Weisen von Zion" unterstellt Herr Höer dem Staat Israel, bzw. den Juden (= "... eine der selbstbewußtesten Nationen", "... sich für auserwähltes Volk halten") eine (aktive) Rolle in der Heide Straßen-Umbenennungs-Debatte zu spielen. Eben diese Behauptung einer Verschwörung eines "internationalen Weltjudentums" ist eine der klassischen, auch im Nationalsozialismus gepflegten antisemitischen Diffamierungen: Sogar in die Angelegenheiten provinzieller norddeutscher Kleinstädte mischten "sie" sich ein, mittels williger deutscher "Helfer", "Kriecher" und "Nestbeschmutzer".

Im folgenden hetzt Herr Höer noch gegen die Erziehung "unsere[r] Einzel- und Verwöhntkinder" und verlangt:
"... dass man unsere ausländischen Einwanderer, die gerne bei uns bleiben möchen, davon überzeugt, dass sie ausschließlich hier ihre Heimat sehen und unsere Sitten und Gebräuche respektieren."
Ob für Herrn Höer zu diesen zu tolerierenden Sitten und Gebäuchen in Dithmarschen auch die bedingungslose Verehrung von Gustav Frenssen gehört, bzw. struktureller Antisemitismus, bleibt aufgrund dieser Zeilen zu vermuten. Es ist kein gutes Zeichen, wenn solche Ansichten und Stimmungen von jemandem verbreitet werden, der bei der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl im Mai 2013 noch für die FDP angetreten ist.

Ein ganz ähnliches Weltbild ließ der am 27. Dezember 2013 veröffentliche Leserbrief von Karl-Wilhelm Looft aus Heide erkennen. Karl-Wilhelm Looft ist in dieser Hinsicht kein Unbekannter. Im Online-Archiv der rechtsnationalistischen Zeitung "Junge Freiheit" finden sich aus dem Jahre 2006 mehrere ausgeprägte Leserbriefe. Ebenso in der konservativen “Preußischen Allgemeinen Zeitung”.

Den Topos des rechtschaffenen Bürgers bedienend, sind für Herrn Looft die Initiatoren der Umbenennungs-Debatte "Müßiggänger, die wohl sonst nichts Ordentliches mit ihrer Zeit anzufangen wissen". Es folgt ein sehr allgemeiner Angriff auf Propst Dr. Crystall und "die Kirche", der von Unkenntnis, Unwahrheiten und Lügen strotzt:
"Aber warum mischt Propst Crystall mit? Warum mahnt unser Propst nur den Antisemitismus in der NS-Zeit an und will deswegen Gustav Frenssen aufarbeiten und nachholen, blendet aber 2000 Jahre Judenverfolgung von Kirche und Christen aus? Dabei hat sich Gustav Frenssen schon 1945 geläutert. Die Kirche hingegen hat bisher nichts zurückgenommen."
Propst Dr. Andreas Crystall schrieb seine Dissertation über Gustav Frenssen und veröffentlichte diese später als Buch. Seine Beteiligung an einer Informationsveranstaltung zu Frenssen ist daher alles andere als unverständlich. Schlimmer dagegen ist die Tatsachenverdrehung die ihr folgt. Herr Looft behauptet, die Kirche habe in Sachen christlichem Antijudaismus "bisher nichts zurückgenommen", auch nicht in Sachen Luther und dessen Pamphlet von 1543 ("Von den Juden und ihren Lügen"), während Gustav Frenssen sich im Jahr 1945 (seinem Todesjahr) davon (?) "geläutert" habe. Hier zeigt sich die realitätsverweigernde Resistenz des Autors, die nicht weiter belegt zu werden braucht.

In seinem Schlußplädoyer verharmlost Herr Looft schließlich sogar noch alle Dinge, für die Gustav Frenssen - und eigentlich auch der Nationalsozialismus insgesamt - zu verurteilen sind:
"Antisemitismus. Gab es den nicht schon immer? Euthanasie? Wird und wurde in vielen Staaten praktiziert! Und Rassengesetze? Die Zionisten gaben damals ihr Okay. Und man schaue heute nur nach Israel!"
Um Frenssen zu retten werden schließlich Antisemitismus, Euthanasie und Rassismus für allgemein üblich erklärt und verharmlost. Nach dieser Argumentation könnte man also eigentlich keinem Nationalsozialisten einen Vorwurf machen.
[Antisemitismus als rassistisch begründete Judenfeindschaft ist zudem erst ein Produkt des 19. und 20. Jahrhundert (Während der kirchliche Antijudaismus in der Regel über Jahrhunderte jüdisches Leben in Europa prinzipiell zuließ, strebte der Antisemitismus stets die "Auflösung" des Juden in seiner Eigenschaft als Juden an, sei es durch Auswanderung, durch extreme Anpassungsauflagen oder wenn dies - wegen ihrer nicht veränderbaren Eigenschaft als “unverbesserliche Rasseschädlinge" - schließlich für nicht möglich gehalten wurde: durch Auslöschung (3. Reich, Shoah/Holocaust)).
Euthanasie, bzw. der 100.000-fache Mord an Behinderten, Andersdenkenden, "Asozialen", ist in Deutschland außerhalb der Nazi-Zeit nie gesellschaftlich oder staatlich toleriert, praktiziert oder akzeptiert worden (Vor dem Hintergrund des biblischen Tötungsverbotes ist Sterbehilfe nur in sehr seltenen, bestimmten Fällen erlaubt).]

Dass man von Karl-Wilhelm Looft, der offen bekennt sich in den 50er und 60er Jahren für die "Freiheitspartei" des ehemaligen NSDAP und "Deutsche Reichspartei"-Mitglieds Prof. Heinrich Kunstmann engagiert zu haben, solches Schreiben erwarten kann, ist klar. Dass es die "Dithmarscher Landeszeitung" weder bei ihm noch bei Herrn Höer für bedenkenswert hielt, solche Hetze abzudrucken, ist dagegen schwer verständlich.

Das einzig gute daran mag sein, dass beide einmal mehr und wohl eher unfreiwillig bestätigen: Die Verteidigung Gustav Frenssen's ist und bleibt nur etwas für Rechte.

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